Neue Realität: Klimakonsequenzen im Bereich des Bauens
Blogpost, 28.10.2022
Rund acht Milliarden Menschen, ein gemeinsames Problem. Auch wenn die Reaktionen und getätigte Gegenmaßnahmen es oftmals nicht vermuten lassen, der Klimawandel geht uns alle etwas an. Sowohl in Bezug auf die Mitverursachung als auch auf die spürbaren Konsequenzen.
Mithilfe des ND-GAIN Country Index lässt sich ermitteln, wie es um die einzelnen Länder steht. Dazu wird zum einen herangezogen, wie vorbereitet ein Land auf den Klimawandel derzeit ist, zum anderen, wo die Schwachstellen liegen. Die darauf basierenden Ergebnisse liefern kaum Überraschungen.
Hauptverantwortliche Industrienationen sichern sich seit Jahren die ersten Plätze, während Entwicklungsländer wie Tschad, die Zentralafrikanische Republik oder Guinea-Bissau auf den letzten Plätzen liegen.
Deutschland, welches derzeit auf Platz 8 liegt, kann also durchatmen. Zumindest etwas länger, denn entsprechende Vorbereitungen und weniger Schwachstellen bedeuten keineswegs, dass der Klimawandel spurlos an Deutschland vorbeiziehen wird.
Wir können uns darauf einstellen, dass es nicht nur mehr Hitze geben, sondern auch zu immer extremeren Hitzewellen kommen wird. Dass München im Sommer ungefähr das Klima von Mailand bekommen wird, oder Berlin das von Toulouse, mag im ersten Moment zwar verlockend klingen, Konsequenzen wie Hitzetote in tausendfacher Höhe oder flächendeckendes Wald- und Artensterben zerschmettern diese Illusion jedoch schnell. Auch Wassermangel könnte uns bei aktuellem Kurs in Deutschland bevorstehen, jedoch nicht an der Nordsee, wo es voraussichtlich zu großflächigen Überschwemmungen der Küsten kommen wird.
Schlussendlich bedeuten all diese kommenden Veränderungen, dass der Klimawandel, wenn auch zeitverzögert und in anderer Intensität, uns in Deutschland vor große Probleme stellen wird.
CO₂-Produzent Gebäudesektor
Zwar fokussieren Debatten rund um die Einsparungen von CO₂-Emissionen in der Regel den Energie-, Verkehrs- oder Landwirtschaftssektor, allerdings machte ein Bericht der UNO 2020 auf einen unterschätzten „Spieler“ aufmerksam: Die globalen Emissionen des Bau- und Gebäudesektors machten im Jahr 2019 nämlich rund 38% des weltweiten Ausstoßes aus.
In Deutschland sind es mit rund 30% zwar etwas weniger, jedoch wird sowohl der massive negative Einfluss des Gebäudesektors auf den Klimawandel als auch das große Potenzial zur Einsparung deutlich.
Doch um sich dieser klimawandelbedingten Umstrukturierung des Bau- und Gebäudesektors in der Gänze anzunehmen, müssen multiple Dimensionen des Problems bedacht werden.
Zum einen muss proaktiv gehandelt werden. Die Fragestellung muss lauten: Wie können CO₂-Emissionen in diesem Sektor reduziert werden, um dem Klimawandel bestmöglich entgegenzuwirken? Zum anderen sind jedoch auch reaktive Handlungen entscheidend. Gebäude müssen hitze- und unwetterresistenter gestaltet werden, sodass die Schäden durch die kommenden Klimaveränderungen minimiert werden können.
Außerdem, und dieser Punkt mag gerade für die Bürger:innen Deutschlands am entscheidendsten sein, muss der Bau- und Gebäudesektor seiner sozialen Verantwortung gerecht werden. Wohnraum muss bezahlbar bleiben, und das in der Breite.
Klimaneutralität
Doch der Reihe nach. Da fast zwei Drittel der Wohngebäude in Deutschland vor 1979 gebaut wurden, verbrauchen sie weitaus mehr Energie als neuere Gebäude, bei deren Errichtung bereits eine Wärmeschutzverordnung galt.
Hier werden demnach energetische Sanierungsmaßnahmen, mit welchen ein geringerer Energieverbrauch und somit weniger Emissionen einhergehen, steuerlich gefördert. Darunter fallen beispielsweise Wärmedämmungen an Dächern und Fassaden oder auch die Erneuerung von Fenstern. Solche energetischen Sanierungsvorhaben gehen seit 2020 mit einem Steuerbonus von 20% (maximal 40.000€) einher. Ein Anreiz, der sich positiv auf den CO₂-Verbrauch und den eigenen Geldbeutel auswirkt.
Doch auch bei der Ökobilanz von Neubauten besteht Verbesserungsbedarf. Auf Errichtung und Herstellung entfällt heutzutage bei einem typischen Neubau bereits die Hälfte der Treibhaus-Emissionen und des Energieaufwands, die bei einem Lebenszyklus von 50 Jahren insgesamt anfallen. Vor der ersten Nutzung fallen also bereits die Produktion und Verarbeitung der Baustoffe ins Gewicht.
Da gerade die Verarbeitung von Roh- zu Baustoffen ein sehr energiezehrender und aufwändiger Prozess ist, weisen die meisten Baustoffe schlechte Ökobilanzen auf. Hier lohnt sich ein Blick auf nachhaltigere Alternativen.
Beispielsweise durch Holzhäuser, welche immer gefragter werden, lassen sich pro Haus bis zu 80t Kohlenstoffdioxid einsparen. Auch sogenannter Hanfbeton kann als alternatives Baumaterial genutzt werden. Die verarbeiteten Fasern der Hanfpflanze geben dem Baustoff eine mit Beton vergleichbare Festigkeit, jedoch frei von Zement oder Beton selbst.
Mit vielen dieser Alternativen gehen Verbraucher:innen jedoch Kompromisse ein. Oftmals sind die Stoffe mit mehr Kosten verbunden oder weisen andere Schwachstellen auf, wie im Falle des Hanfbetons die fehlende Druckfestigkeit, sodass sich Hanfbeton weniger für mehrstöckige, große Gebäude eignet. Allerdings lässt sich Hanfbeton beliebig mit anderen Baumaterialen kombinieren, sodass die Ökobilanz von kleineren und mittelgroßen Häusern in Zukunft schrittweise gesenkt werden könnte.
Eins steht allerdings fest: Wer von Beginn an klimafreundlich und nachhaltig baut, spart sich die um einiges teureren Nachrüstungen zu einem späteren Zeitpunkt.
Klimaresilienz
Hier gibt es verschiedene Punkte, an denen angesetzt werden könnte. Ein Konzept stellen sogenannte blau-grüne Gebäude dar. Die Idee: Der Mensch ist sowohl zuhause als auch bei der Arbeit von der Natur umgeben, wodurch sich voraussichtlich nicht nur das Wohlbefinden steigert, sondern auch zahlreiche weitere Vorteile entstehen.
Die hier angedachte Begrünung von Dächern und Hauswänden wirkt im Sommer als Hitzeschild und im Winter als Wärmespeicher. Gerade in urbanen Räumen lässt sich außerdem der Lärm verringern und Luft- und Lebensqualität können wieder steigen. Ebenfalls gern gesehene Photovoltaik-Anlagen stehen zudem nicht im Widerspruch mit einer Dachbegrünung – im Gegenteil – die PV-Anlagen können gerade bei steigenden Temperaturen von der kühlenden Wirkung der Pflanzen profitieren, wodurch der Wirkungsgrad der Anlagen erhalten bleibt.
Die natürliche Fassade lohnt sich auch aus finanzieller Sicht, da die Begrünung den Wärmeverlust im Winter um bis zu 50% reduzieren kann, während sie im Sommer als natürliche Klimaanlage fungiert.
Die hierbei geplante, systematische Nutzung von Regen- und Grauwasser (leicht verunreinigtes Wasser aus Duschen etc.) spart zudem großflächig sowohl Trinkwasser als auch viele der mit dem Wasserverbrauch verbundenen Kosten.
Eine blau-grüne Infrastruktur optimiert jedoch nicht nur die Prozesse, sondern bietet gleichzeitig die Lösung für das Problem extremerer Wetterlagen. So sind urbane Räume aufgrund der städteweiten Flächenversiegelung Wetterereignissen wie Starkregen oder Überschwemmungen nicht gewappnet. Die alternative Infrastruktur erlaubt jedoch sowohl das Absickern als auch das Speichern des überschüssigen Wassers. Außerdem werden durch das Grün die Städte bei Hitzeperioden voraussichtlich weniger aufgeheizt.
Doch auch andere Maßnahmen sind denkbar, denn es gibt vermutlich nicht den einen richtigen Lösungsansatz. In Regensburg wurde im Jahr 2021 so zum Beispiel das erste „Haus auf Stelzen“ gebaut. Die gewonnene Fläche am Boden gibt Raum frei für weitere Begrünungsmaßnahmen, die gemeinsam mit dem begrünten Dach rund 70% des Regenwassers zurückhalten können, sodass das städtische Kanalnetzwerk stark entlastet werden kann.
Einen weiteren Punkt stellen die im heutigen Baustil vielfach verwendeten Fenster dar. Wer Glasdächer in jeglicher Form besitzt, wird sich der erhitzenden Wirkung im Sommer bewusst sein. Ein Problem, das zukünftig voraussichtlich auch an verglasten Bushaltestellen auftreten wird.
Gerade in Neubauten sind daher zwei Gegentrends zu beobachten: Wenn weiterhin große Fenster bis hin zu ganzen Fensterwänden verbaut werden, muss für den notwendigen Sonnenschutz zum Teil tief in die Tasche gegriffen werden. Zum anderen wird bei immer mehr Häusern auf kleine, bzw. schmale und hohe Fenster gesetzt. Besserer Schutz vor Hitze(-wellen) auf Kosten der gefühlten Raumgröße und der Ausleuchtung der Räume durch Tageslicht.
Soziales Wohnen
Die veränderten Klimabedingungen stellen somit sowohl die Branche als auch die Bewohner:innen vor eine Herausforderung. Denn die meisten dieser empfehlenswerten Maßnahmen rund um das Gebäude sind sehr kostspielig.
Dadurch droht die Nachhaltigkeit beim Bauen in den Hintergrund zu rücken. Das Problem dabei ist, dass der „Preis“ schlussendlich bei überfälligen Sanierungsmaßnahmen und Anpassungen gezahlt wird. Die bevorstehenden Auswirkungen des Klimawandels lassen nämlich keine wirklichen Abkürzungen zu. Es wird sich demnach finanziell lohnen, am Anfang vielleicht nicht direkt an das Ende zu denken, allerdings einen aufmerksamen Blick nach vorne zu werfen.
Zirkuläres Bauen
Eins steht in jeder Hinsicht fest: Wie in der Vergangenheit kann nicht weitergebaut werden. Die Klimaziele 2020 wurden bereits verfehlt, für 2030 bedarf es folglich einiger Änderungen. Eine zirkuläre Wertschöpfung verspricht sich den zuvor erwähnten Herausforderungen anzunehmen.
Gemäß dem Kreislaufprinzip müssten (Bau-)Stoffkreisläufe geschlossen werden, sodass kaum bis keine Emissionen und Abfälle entstehen. Dazu bedarf es ressourceneffizienter Produkte, der Wiederverwendung von Bauteilen und der Abkopplung von fossilen Energiequellen.
Besonders vielversprechend sind Ideen des modularen Bauens, wonach Gebäudeelemente beliebig oft neukonstruiert oder zusammengesetzt werden können, sodass kein Abriss notwendig ist, sofern es für das Gebäude keine Verwendung mehr gibt.
Auch ein einfacher Rückbau wäre im Zuge des zirkulären Bauens denkbar. Dafür werden Gebäude leicht dekonstruierbar entworfen, sodass eine spätere Demontage sowie der darauffolgende Wiederaufbau problemlos möglich sind.
Zur Sicherstellung der Nachhaltigkeit werden sämtliche Roh- und Baustoffe anhand einer erstellten Ökobilanz verglichen, sodass die Baustoffe, welche sich im Kreislauf befinden, auch bei der Gewinnung bereits geringe Emissionswerte haben.
Zirkuläres Bauen stellt damit eine Möglichkeit dar, klimagerechte Gebäude für die breite Bevölkerung zu liefern. Durch den Einsatz von Modulen oder der Demontage von ganzen Häuserteilen lassen sich die einzelnen Bestandteile voraussichtlich gut hochskalieren, und somit in großer Stückzahl bezahlbar verkaufen. Werden die zirkulären Ansätze mit gezielten Maßnahmen, seien es Dächer- und Fassadenbegrünung oder einer systematischen Regen- und Grauwassernutzung kombiniert, so schlummert hier vermutlich eine Lösung, die sich langfristig mit dem Klimawandel und dem Geldbeutel vereinen lässt.
Vorerst scheint es jedoch, als wären die Rollen klar verteilt, im Großen wie im Kleinen. Wohlhabende Länder oder Familien haben bereits jetzt die Mittel und das Wissen, sich insgesamt besser auf den Klimawandel vorzubereiten, während fehlendes Geld derzeit noch vielen Präventivmaßnahmen im Wege steht.
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